22 Apr 2020
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Maskenscham? - Glauben Sie nicht alles, was Sie fühlen

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 Photo by Michael Amadeus on Unsplash

 

Ein Artikel von Denis Mourlane

 

Das Emotionale Argumentieren

Menschen die bereits an einem meiner Vorträge teilgenommen oder eines meiner Bücher gelesen haben, können sich wahrscheinlich gut an meinen Satz „Glauben Sie nicht alles, was Sie fühlen“ erinnern. Ich will mit diesem Satz auf einen bestens untersuchten psychologischen Prozess hinweisen. Dieser Prozess wird als „Emotionales Schlussfolgern“ oder im Englischen als „Emotional Reasoning“ bezeichnet. Er findet bei jedem Menschen auf diesem Planeten in automatisierter und meist unbewusster Art und Weise statt. Im Kern beschreibt er nichts anderes als die Tatsache, dass wir Menschen so gut wie immer von unseren Emotionen auf die Situationen schließen, die diese Emotionen auslösen. Die Emotion Angst sagt uns zum Beispiel, dass eine Gefahr besteht. Haben wir in einer Situation also wenig Angst, schlussfolgern wir (emotional), dass nur eine geringe Gefahr besteht. Haben wir große Angst, schlussfolgern wir (emotional), dass eine große Gefahr besteht. Bei positiven Emotionen ist das genauso. Stolz sagt uns beispielsweise, dass wir eine gute Leistung erbracht haben. Sind wir also ein klein bisschen Stolz glauben wir eine recht gute aber nicht übermäßig gute Leistung erbracht zu haben. Sind wir dagegen sehr stolz, schlussfolgern wir (emotional), dass wir eine ganz außerordentlich gute Leistung erbracht haben.

Dieser Prozess ist ein sehr sinnvoller und effizienter, denn er ermöglicht es uns, schnell Situationen einzuschätzen und auf diese zu reagieren. Besonders effektiv ist er dann, wenn unsere kognitive also gedankliche Einschätzung der Situation richtig ist bzw. der Wahrheit sehr nahekommt. Ist unsere Sichtweise auf die Situation aber „verquer“, dann führt dies unweigerlich auch zu „verqueren“ Emotionen. Deswegen sollte man auch nicht immer „das glauben, was man fühlt“. Fast jeder Mensch hatte zum Beispiel schon einmal sehr viel Angst vor etwas, obwohl die Gefahr gar nicht so groß war oder vielleicht sogar überhaupt keine Gefahr bestand. Und viele Menschen waren schon mal sehr stolz auf sich, obwohl die Leistung, die sie erbracht hatten, ok, aber lang nicht so großartig war, wie es sich für sie angefühlt hatte. Solche Einsichten haben wir Menschen dann häufig im Nachgang oder schon in der Situation selbst, wenn wir mal genauer über diese nachdenken. Uns kann dann z.B. bei der uns selbst gestellten Frage „Was kann denn eigentlich passieren?“ bewusst werden, dass es nicht sehr viel ist, was uns da an Schlimmen widerfahren kann. Das führt dann auch häufig zu einer Verringerung oder einem kompletten Verschwinden der Angst. Über die Jahre werden wir dann idealerweise immer weiser und es gelingt uns, auf viele Situationen mit einer immer größeren emotionalen Reife zu reagieren.

 

 

Die leidliche Maskendiskussion & unsere Emotionen

Wahrscheinlich verfolgen Sie gerade wie ich auch die Diskussion über das Tragen von Atemschutzmasken. Vielleicht geht es Ihnen dabei wie mir und Sie fragen sich auch, was das alles denn eigentlich soll. Das Tragen einer Maske verringert die Wahrscheinlicht den Virus, den man eventuell in sich trägt, weiter zu verbreiten. Je Maskenart mal mehr, mal weniger, aber es ist definitiv so, dass es nicht schaden und nur helfen kann. Deswegen gibt es jetzt auch eine Maskenpflicht in vielen Ländern, die schon weiter sind als wir. Deswegen wird Österreich schon bald auch wieder erste Restaurants und Cafés öffnen. Eben weil dort alle Menschen Masken tragen, um sich gegenseitig zu schützen. Entsprechend würde es das Tragen einer solchen Maske, wenn es denn alle tun, erlauben, relativ schnell wieder ein einigermaßen normales Leben aufzunehmen. Also genau das, was wir alle wahrscheinlich gerade wollen. Das Tragen dieser Masken fällt nun aber scheinbar vielen Menschen schwer. Und dies trotz der Logik, dass wir damit die Verbreitung des Virus stark eindämmen und gleichzeitig wieder das „normale Leben“ hochfahren könnten. Selbst der deutschen Politik scheint es schwer zu fallen, eine solche Maskenpflicht auszurufen. Wie kann das sein?

Nicht der einzige aber ein sehr wichtiger Grund dafür ist aus meiner Sicht das Gefühl des Schams und der Peinlichkeit, das viele empfinden, wenn Sie sich diese Maske aufziehen. Es ist ihnen unangenehm und das liegt natürlich auch daran, dass sie momentan noch mit die einzigen sind, die diese Maske dann tragen. Gäbe es eine Maskenpflicht und müssten alle damit herumlaufen, bräuchte ich diesen Artikel gar nicht zu schreiben. Sie fallen also damit auf und vielleicht gehen Ihnen dann auch Gedanken wie „Die anderen denken ich bin krank“, „Wieso bin ich hier der einzige „Depp“ der eine Maske trägt?“, „Die denken von mir ich bin überängstlich und übertreibe es.“, „Das ist doch total spießig und uncool eine Maske aufzuziehen.“ oder „Oh Gott, ich falle ja total auf und mache mich mit der Maske lächerlich." durch den Kopf. Wenn man solche Gedanken im Kopf hat, ist es kein Wunder, dass man ein Gefühl der Peinlichkeit empfindet und wahrscheinlich das nächste Mal die Maske zu Hause lässt.

Genauso wie die weiter oben beschriebenen Emotionen Angst und Stolz, haben auch die Emotionen Peinlichkeit und Scham eine Bedeutung. Beide signalisieren uns, dass wir an Standing, an Ansehen verlieren. Nehmen wir also das eben genannte Beispiel von einem Menschen der Scham bzw. Peinlichkeit beim Tagen der Atemschutzmaske in der Öffentlichkeit empfindet, können wir mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass er glaubt in den Augen der anderen an Ansehen zu verlieren. Was im Übrigen, nicht immer, aber häufig auch daran liegt, dass sich dieser Mensch in der Vergangenheit immer mal wieder selbst über andere Personen „lustig gemacht“ oder gewundert hat, die er mit Atemschutzmaske gesehen hat. Vielleicht auch schon vor der Coronakrise, wenn er in den Nachrichten Asiaten sah, die in der Öffentlichkeit mit Atemmasken herumgelaufen sind. „Meine Güte das sind aber komische Leute diese Asiaten. Die übertreiben es echt mit ihren Atemmasken“. Und jetzt sollen sie das auch noch selbst machen, sich „zum Affen machen“. Lassen Sie, liebe Leserin und Leser es ruhig zu, wenn Sie ich gerade ertappt fühlen. Ich habe bis vor wenigen Wochen noch genauso gedacht wie Sie.

Die Emotion Peinlichkeit bzw. Scham sagt uns nun also, dass wir an Ansehen verlieren und genauso, wie wir uns, wie weiter oben bei der Emotion Angst beschrieben, fragen können, ob wirklich eine Gefahr besteht, können wir uns natürlich auch beim Tragen der Atemschutzmaske die Frage stellen, ob ich bei meinem Nachbarn, den ich im Supermarkt treffe, wirklich an Ansehen verliere, wenn ich diese Maske trage? Und selbst wenn ich mir diese Frage mit „Ja“ beantworte, kann ich mir dann die nächste Frage stellen, ob das wirklich so schlimm wäre, wenn mein Nachbar oder vielleicht auch nur ein wildfremder Mensch von mir denkt, dass ich es mit der Maske übertreibe?. Na, was sagen Sie dazu?

 

Scham in Stolz verwandeln.

Jede negative Emotion, also jede die wir nicht mögen, führt in der Regel zu einer Verhaltensänderung. Es hat sich nicht gut angefühlt, also lasse ich es lieber sein. Das nennen wir Psychologen dann ein Vermeidungsverhalten. Wir können dieser Emotion aber natürlich auch anders begegnen. Das tun wir dann, wenn wir, bezogen auf das Thema dieses Artikels, trotzdem mit der Atemmaske auf dem Gesicht in die Situation gehen und, wenn zeitlich möglich, so lange in ihr verharren, bis das Gefühl des Schams oder der Peinlichkeit durch Gewöhnung von allein wieder verschwinden. Zusätzlich kann und sollte man sich in der Situation etwas bewusst machen, wir sagen auch eine neue Kognition, eine neue Einsicht haben, die dazu führt, dass die unangenehme Emotion wieder verschwindet. Ja, sich vielleicht sogar zu einer positiven Emotion, wie beispielsweise Stolz entwickelt bzw. durch diese abgelöst wird.

Eine Person, die also derzeit Gedanken wie „ich mache mich hier zum Affen“ hat, könnte bewusst wahrnehmen, dass sie das gerade denkt und sich dann andere Dinge bewusst machen. Dies wäre zum Beispiel, dass „sie mit gutem Beispiel voran geht“, dass „Japaner die Masken aus Respekt vor der Gesundheit der anderen tragen“, dass „es eigentlich auch vor Corona ziemlich respektlos war, jemandem, obwohl man erkältet ist, die ungewaschene Hand zu geben oder ihn gar anzuniesen“,  dass „es sowieso bald für einen längeren Zeitraum zum Alltag gehören wird, Masken zu tragen“, dass „dies die vorerst einzige Lösung ist, um zu einem auch der Wirtschaft einigermaßen gerecht werdenden Leben zurück zu kehren“ oder „dass wir damit die vielen Menschen, die in Supermärkten arbeiten und ihre Gesundheit für uns aufs Spiel setzen, schützen“.

Haben wir den Mut unsere Komfortzone zu verlassen und gehen wir mit solch positiv-zielgerichteten Gedanken in die neue Situation, werden die Gefühle der Peinlichkeit und des Schams recht schnell verschwinden. Und das ist auch gut so, denn die brauchen wir wahrlich nicht zu haben. Es ist ein „falsches“ Gefühl, weil wir eben nicht an Standing, an Ansehen verlieren. Wahrscheinlich wird sich sogar ein positives Gefühl des Stolzes einstellen. Stolz, weil wir unsere Komfortzone verlassen haben und Stolz, weil wir anderen Menschen damit etwas Gutes tun. Ein diesmal „richtiges“ Gefühl, denn Sie erbringen gerade wirklich eine großartige Leistung. Diesmal dürfen Sie Ihrem Gefühl also wirklich glauben.

  

Der Autor

Dr. Denis Mourlane ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Systemischer Berater und Coach (www.mourlane.com). Er gilt als einer der deutschen Pioniere und Vordenker im Bereich Resilienz im Wirtschaftsumfeld. Er ist darüber hinaus ein gefragter Key-Note-Speaker, Buchautor („Resilienz“ bei BusinessVillage & „Emotional Leading bei dtv) und Coach.

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